Spotlight: Sie wohnen als Ortsvorsteherin nicht vor Ort – was bedeutet das für die Ausführung des Amtes?
Dass ich im 25 Kilometer entfernten Nagold wohnen bleiben würde, hatte ich von Anfang an kommuniziert – weil mein Mann und unsere Kinder dort in einem Eigenheim wohnen und die Schwiegereltern in nächster Nähe sind. Die Anfahrtszeit hält sich im Rahmen und ich weiß die räumliche Distanz zu schätzen. Wenn ich am Wohnort bin, freue ich mich, die Zeit mit meiner Familie verbringen zu können. Selbstverständlich bin ich immer, wenn ich in Calw oder Stammheim oder Holzbronn gefordert bin, ruckzuck vor Ort.
Spotlight: Was sind die Herausforderungen in der Gremienarbeit, im Ortschaftsrat?
Mit meinen Ortschaftsräten führe ich oft Diskussionen darüber, was im Gremium in aller Öffentlichkeit behandelt werden sollte und was an anderer Stelle besser aufgehoben ist. Es ist nicht bei jeder Problemstellung, die den Ratsmitgliedern aus der Bürgerschaft zugetragen wird, gleichermaßen zielführend, sie zum Politikum zu machen. Das betrifft beispielsweise so Themen wie Heckenschnitt, Pflege von Rasenflächen oder Winterdienst. Manches lässt sich auf anderem Wege einfacher und besser lösen. Dafür bleibt dann im Gremium mehr Zeit für prioritäre Themen.
Als hauptamtliche Ortsvorsteherinnen haben wir kein Stimmrecht im Ortschaftsrat. Ich glaube, mit Stimmrecht wäre es vielfach leichter. Dann könnte ich einfach sagen: Ja, ich bin dafür. Oder dagegen. Daran könnten sich dann andere Ratsmitglieder orientieren. Tatsächlich können wir zwar Stellung nehmen, dürfen uns aber nicht an der Abstimmung beteiligen. Da ergeht es uns wie den Landräten, die in Baden-Württemberg ihrerseits nicht direkt vom Volk gewählt werden, sondern von einem Gremium (Kreistag).
Spotlight: Als Ortsvorsteherin haben Sie eine besondere Rolle in der Verwaltung. Wie empfinden Sie diese?
Wir sind Teil des städtischen Führungsstabs, haben aber eine Sonderrolle inne. Oft sind wir in Abstimmungen auf Ebene der Fachbereichsleiterinnen und Fachbereichsleiter involviert, dadurch können wir unsere Themen und Anliegen einspielen. Dieser direkte, persönliche Austausch auf der Führungsebene ist vorteilhaft.
Spotlight: Wer hat Sie auf Ihrem Weg unterstützt?
Mein Mann zeigt viel Verständnis und unterstützt mich sehr. Während meines Masterstudiums blieb viel Familiäres an ihm hängen. Erzieherisches und Hausarbeit. Ihm war und ist wichtig, dass ich glücklich bin. Dafür bin ich ihm unendlich dankbar.
Während meines Studiums habe ich viel Unterstützung vom Nagolder Oberbürgermeister Jürgen Großmann erfahren. Bei meiner Master-Thesis fungierte er als Zweitkorrektor. Das war eine schwierige Zeit, weil gerade die Pandemie wütete. Beide Kinder im Homeschooling, während ich meine Master-Thesis schreiben musste und Vollzeit arbeitete, und zwar in Präsenz, nicht von zuhause aus. Das wäre ohne die Unterstützung meines Mannes und von OB Großmann kaum zu schaffen gewesen.
Spotlight: Haben Sie auch Frauen als Unterstützerinnen erlebt?
Meine Mutter und meine Schwiegermutter haben mir familienintern geholfen. Im Beruf würde ich mir wünschen, dass Frauen einander stärker unterstützen, sich besser vernetzen. Ich für meinen Teil habe das bisher selten erlebt. Ich glaube, Männer machen das bisher besser. Immerhin: Meine Kollegin Jacqueline hat mich am Anfang sehr gut eingearbeitet und unterstützt, bis ich wusste, wie der Hase läuft.
Spotlight: Wie wächst man in die Rolle der Ortsvorsteherin hinein?
Präzise Ortskenntnis ist hilfreich. Ich gehe oder fahre häufig mit offenen Augen durch den Ort, um die örtlichen Verhältnisse, Besonderheiten und Befindlichkeiten zu kennen, zu verstehen, einzuordnen.
Spotlight: Was ist wichtig, um bei so vielen Aufgaben und Ansprüchen nicht zerrieben zu werden?
Es ist wichtig, sich auch gegenüber den vielen Wünschen der Menschen abgrenzen zu können und einen Ausgleich für sich zu finden, der einem Kraft gibt. Andernfalls frisst einen der Job auf. Die Ansprüche sind manchmal enorm. Man darf auch nicht alles persönlich nehmen. Manchmal erlebe ich Menschen, die weinen. Das muss man aushalten und sich abgrenzen können. Ich kann nicht jedem alles zusagen. Natürlich bin ich freundlich und auch verbindlich. Ich bemühe mich, zu prüfen und zu schauen, was geht. Aber es geht nicht alles und das muss ich dann kommunizieren.
Spotlight: Worauf schauen Sie mit Zufriedenheit, wenn Sie auf Ihre bisherige Amtszeit schauen?
Was uns gut gelungen ist, ist das neue Café Alte Feuerwehr in Stammheim. Bevor ich kam, war meine Stelle acht Monate lang nicht besetzt. Die Bürgerschaft und Vereinsvorstände standen bei dem Café-Projekt schon in den Startlöchern. Aber die Verwaltung litt unter personellen Engpässen. Es war anstrengend, bis wir dann alles geregelt hatten. Aber jetzt läuft´s und die Leute sind extrem dankbar. Wenn die Projekte erfolgreich laufen und die Menschen die Entwicklung anerkennen, das stimmt mich zufrieden.
Spotlight: An welchen aktuellen Projekten arbeiten Sie in den beiden Teilorten, für die Sie zuständig sind?
Im Teilort Stammheim gestalten wir den Vorplatz der Ortsverwaltung neu. Das war ein langer Kampf, die Konzeption mit der Umgestaltung der ganzen Hauptstraße stammt bereits aus dem Jahr 2008. Es wurde aber lange nichts umgesetzt und fand wieder auf die Agenda, nachdem ich Ortsvorsteherin wurde. Jetzt ziehen wir es durch, Fertigstellung diesen Sommer/Herbst.
Außerdem entwickeln wir ein Neubaugebiet und treiben den Glasfaserausbau voran. Wenn gebaut wird, wenn Straßen gesperrt werden, dann gibt es immer etwas Aufruhr in der Bevölkerung. Aber wenn dann alles nach Plan läuft, entspannt es sich wieder. Aktuell habe ich das Gefühl: es läuft.
Mit der Digitalisierung der Stadtverwaltung geht es in Calw sehr gut voran. Das sorgt für eine enorme Erleichterung. Früher schleppte ich immer eine Tasche voller Akten mit mir. Die Abteilung Liegenschaften ist eine der ersten, deren Akten digitalisiert wurden, denn uns beschäftigen extrem viele Altvorgänge, wir müssen ständig etwas überprüfen. Weil ich meinen Arbeitsplatz mehrfach pro Woche wechsle, kann ich nicht ständig all diese Unterlagen mit mir tragen. Schwer vorstellbar, wie das meine Vorgänger dennoch bewerkstelligten.
Eine schöne, wiederkehrende Aufgabe der Ortsvorsteherin ist es, das Fleckenfest alle zwei Jahre zu organisieren. Da werden viele Vereine aktiv, was ich zu koordinieren habe, ohne jemanden zu benachteiligen oder zu verärgern. Welche Gruppe bietet was an? Wie teilen wir die Kosten auf? Das 2023er Fest war klasse. Alle Akteure waren durchweg mit dem Ergebnis zufrieden, auch mit den Einnahmen. Ich weiß die Bedeutung ehrenamtlichen Engagements zu schätzen und fördere es gerne nach Kräften.
Spotlight: Mit Ihren Erfahrungen als Ortsvorsteherin und Ihrem ehrenamtlichen politischen Engagement – können Sie sich heute vorstellen, auch als Bürgermeisterin zu kandidieren?
Ja, inzwischen kann ich mir gut vorstellen, Bürgermeisterin zu werden. Weil ich jetzt weiß, was mich in diesem Amt erwartet. Das Verwaltungshandwerk zu studieren ist die Grundlage – aber einen Ort oder eine Kommune zu führen, lernt man nur in der Praxis. Als hauptamtliche Ortsvorsteherin habe ich eine sehr vielseitige Querschnittsaufgabe zu bewältigen, die mich mit allem vertraut macht, womit ich auch als Bürgermeisterin konfrontiert wäre: Verwaltungsgeschäfte führen, Ratssitzungen leiten, mit der Bürgerschaft kommunizieren, eine Kommune repräsentieren.
Das Interview mit Helena Österle führte Barbara Ogbone im März 2024. Zur besseren Verständlichkeit wurde das Interview gekürzt und redigiert.