Frau Oberbürgermeisterin Petzold-Schick, Sie sind seit 15 Jahren, nahezu zwei Amtsperioden, Oberbürgermeisterin der Stadt Bruchsal. Wie kam es zu dieser Karriere in der Kommunalpolitik?
Mein Lebensweg ist sicherlich nicht von vorneherein darauf angelegt gewesen, Oberbürgermeisterin zu sein. Ich habe nach der Schule eine Banklehre gemacht, war sieben Jahre im Landeskriminalamt Baden-Württemberg und habe parallel Jura studiert. Ich habe das erste und zweite Staatsexamen mit dem Ziel gemacht, zur Wirtschaftskriminalität zu wechseln. Während ich im Referendariat bei einer Verwaltungsstelle in einer kleinen Gemeinde war, ist die Idee gewachsen: “Kommunale Ebene, das wäre vielleicht auch etwas”. Das hatte ich ursprünglich gar nicht im Blick.
Mit 32 Jahren habe ich in Hügelsheim eine Bürgermeisterwahl knapp verloren – mit Plakaten, über die man heute lachen würde. Ich bin dann aber trotzdem in die Verwaltung gewechselt. Ich habe erst in Bad Wildbad, dann in Rheinstetten als Hauptamtsleiterin Erfahrungen gesammelt. 2005 wurde ich vom Gemeinderat in Ettlingen als Bürgermeisterin und erste Beigeordnete gewählt.
Als ich dann 2009 von Mehreren gefragt wurde, ob ich als Oberbürgermeisterin in Bruchsal kandidiere, war es nicht von vornherein so, dass ich ja gesagt habe. Wir Frauen sind immer sehr selbstkritisch: Können wir das, was bedeutet das familiär? Ich habe in der damaligen Entscheidungsphase von meinem Mann Rückendeckung bekommen. Er hat mich bestärkt und gesagt, das wäre etwas. Wir brauchen Menschen, die zu einem stehen, um diesen Schritt zu machen. Leider ist mein Mann vor über drei Jahren verstorben.
Ich bin daraufhin 2009 in den Wahlkampf gegangen und habe den Schritt gewagt, als Oberbürgermeisterin in Bruchsal, der größten Stadt im Landkreis Karlsruhe, zu kandidieren.
Unter den sechs Kandidierenden für das Oberbürgermeisteramt waren Sie die einzige Frau. Wie war das für Sie?
Es war ein sehr, sehr ambitionierter Wahlkampf. Damals war Bruchsal 50 Jahre lang CDU regiert. Ich war damals parteilos, aber von einem Bündnis jenseits der CDU unterstützt.
Ich war die erste Frau, die für das Amt der Oberbürgermeisterin in Bruchsal kandidierte. In Ettlingen gab es schon eine Oberbürgermeisterin, aber als ich damals im Wahlkampf war, 2009, war es im Landkreis noch nicht üblich, dass Frauen kandidieren. Insofern war es Neuland, wurde aber von Anfang an sehr positiv aufgenommen. Ich war im Wahlkampf davon getragen, dass die Zeit auch für Frauen jetzt reif ist. Ich glaube, heute hat sich das geändert. Dass Frauen kandidieren, ist viel normaler geworden. Da hat sich was getan.
Jetzt bin ich seit 2009 hier in Bruchsal und mein Leben ist sozusagen auf Bruchsal und auf das Oberbürgermeister-Dasein ausgerichtet.
Was gehört zur Verantwortung der Oberbürgermeisterin in so einer Stadt wie Bruchsal?
Ich habe in einer Stadt mit 20.000 Einwohnerinnen und Einwohnern als Amtsleiterin, Hauptamtsleiterin gearbeitet. In Ettlingen war ich als Beigeordnete verantwortlich für 38.000 Einwohner. Als Vereinbarte Verwaltungsgemeinschaft zählt Bruchsal sogar bis zu 60.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Das sind jedes Mal große Sprünge. Die Komplexität wächst mit den Herausforderungen in der Stadt.
Eine Stadt wie Bruchsal, eine große Kreisstadt, hat alle Aufgaben der klassischen Daseinsvorsorge. Wir sind aber auch eine große Stadt mit guter Industrie, mit guter Wirtschaft und da stellen sich Herausforderungen und Transformationsprozesse, die ganz gewaltig sind.
Bruchsal hat über 10.000 Schülerinnen und Schüler bei 47.000 Einwohnern, weil wir für das Umland Schulstadt sind. Die Verantwortung, für Kinder und Jugendliche passgenaue Angebote zu bieten, durch die das Thema Chancengleichheit auch in der Fläche bespielt wird, ist für mich eine große Herausforderung. Es ist etwas anderes, ob man zwei oder drei Kindergärten hat oder viele Schulen mit einem differenzierten Angebot.
Bruchsal ist eine Stadt der Vielfalt. Wir haben mittlerweile viele Personen mit sogenanntem Migrationshintergrund. Flüchtlinge unterzubringen, die auch hier die Angebote wahrnehmen, ist eines der großen Themen der vergangenen Jahre. Meine Herausforderung ist, den Zusammenhalt der Gesellschaft zu stärken. Das hat mit Vielfalt zu tun und mit der Schere von Arm und Reich. Das hat etwas mit Generationskonflikten zu tun. Das hat auch mit Demografie zu tun. Und dafür brauchen wir alle. Es braucht gute Netzwerke und auch das Verständnis, dass wir nicht alles nur mit Geld regeln können.
Den Bürgerinnen und Bürgern Lebensqualität vor Ort zu ermöglichen, ist eine weitere Herausforderung, die in der Komplexität der Mittelstadt gegeben ist. Ein prosperierendes Mittelzentrum braucht eine Innenstadt, die lebendig ist. Die Menschen möchten ein Umfeld haben, wo sie und ihre ganze Familie sich wohlfühlen. Das heißt, Sie müssen immer viele, viele Angebote machen, um eine Stadt attraktiv und lebendig zu halten: Verkaufsoffene Sonntage, viele Veranstaltungen, Plätze und andere Konzepte, damit immer etwas passiert in der Stadt.
Die sogenannten weichen Faktoren, dass Menschen für ihre Familie gute Kindergärten und Schulplätze haben, dass sie eine lebendige Innenstadt vorfinden, dass sie gute Gastronomie haben, das gehört zu einem guten Wirtschaftsstandort dazu. Da mit knappen finanziellen und personellen Ressourcen immer die richtigen Schwerpunkte zu setzen, das ist eine der großen Herausforderungen. Da kann man aber auch persönliche Noten entsprechend ausspielen. Das ist das, was das Amt extrem interessant macht.
Wie setzt man solche persönlichen Noten als Oberbürgermeisterin? Wo hat die Oberbürgermeisterin Eingriffsmöglichkeiten?
Mir wurde ganz am Anfang einmal gesagt: “Wenn du Oberbürgermeisterin bist, dann musst du jeden Monat eine Gemeinderatssitzung füllen mit Themen.” Jeden Monat muss also mindestens ein neues Thema kommen, damit hier auch etwas passiert. Wenn man das verstanden hat, dann weiß man, was die Aufgabe ist.
Wir sind eine sehr große, sehr ambitionierte Verwaltung. Wir haben gute Personen. Wir sind groß genug, dass wir gute Leute binden können. Viele sind sehr engagiert. Das heißt, viele Themen kommen von der Verwaltung: Bebauungspläne werden erstellt, Kindergartenplätze werden organisiert. Das alles kommt aus der Verwaltung, weil sie die Aufgabe sieht, mit den Bürgerinnen und Bürgern ihre Daseinsvorsorge zu regeln.
Aber das, was eine Oberbürgermeisterin ausmacht, nämlich die persönliche Note, muss darüber hinaus gehen. Es ist eine Gratwanderung, in diesen ganzen Aufgaben, die aus dem Haus, aus der Politik und von den Bürgerinnen und Bürgern kommen, noch eine rote Linie zu bewahren und zu sagen: “Was ist mir denn wichtig?” Damit eben nicht nur abgearbeitet und reagiert wird, sondern wir aktiv gestalten. Da muss man eine persönliche Agenda haben.
Ich habe sehr schnell im wirtschaftlichen Bereich Flagge gezeigt. Für mich war der Transformationsprozess in der Wirtschaft sehr wichtig. Mir war klar: Wenn ich Soziales und Kultur stärken will, dann muss ich beweisen, dass ich auch in der Lage bin, die Lebensader dieser Stadt, die früher schon pulsierend war, am Leben zu erhalten.
Wir waren eine große Industriestadt. Siemens hatte hier 7000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Siemens hat dann den Schlüssel herumgedreht. Was passiert mit dieser Stadt, war die Frage. Es ist uns gelungen, mit anderen wirtschaftlichen Verantwortlichen nicht nur die Flächen neu für Startups aufzulegen, sondern den Transformationsprozess in der Wirtschaft mitzugestalten. Wir machen große Unternehmertreffen. Wir machen Gebiets-Netzwerktreffen. Wir machen Angebote, die nicht jede Kommune macht und die für die Wirtschaft interessant sind. Mir war es wichtig, dass wir mit Netzwerken arbeiten, um Kräfte zu bündeln. In der Schule und im Sozialbereich kennt man das. Netzwerke organisieren, das war im Prinzip eine meiner ersten Aufgaben. Da erntet man nicht gleich die Früchte, aber man hat nachhaltige Früchte.
Sie haben auch im sozialen Bereich Ihre persönliche Note gesetzt.
“Sozial lebendige Stadt”, mit der Agenda bin ich angetreten. Allen Generationen muss es gut gehen. Das ist eine Aufgabe, die jeder ein bisschen individuell gestalten kann. Für Kinder gibt es viele, die Lobbyarbeit machen und auch wir haben da viel aufgebaut.
Ich möchte aber auch für Jugendliche Flagge zeigen. Ein Herzensanliegen für mich ist es, für Jugendliche im entscheidenden Alter Demokratiebildung zu bieten, ihnen beizubringen, dass sie nicht nur in der Familie eine Identität haben. Sie wollen sich ausprobieren. Sie brauchen Experimentierräume. Der öffentliche Raum darf nicht nur kommerzialisiert werden, sondern muss auch den Menschen Möglichkeiten geben. So haben wir dann eben Sprühmauern und Ähnliches geschaffen.
Es sind aber nicht nur Jugendliche, die ich in den Blick nehmen möchte. Bei den Seniorinnen und Senioren ist es meistens leicht, wenn man das Herz am rechten Fleck hat und sie ernst nimmt. Es geht nicht ums Kaffeetrinken, sondern um die Aktivierung von Seniorinnen und Senioren, damit diese sich lebenslang in einer Kommune einbringen können.
Das ist meine persönliche Agenda, weil ich da auch herkomme. Ich komme aus der kirchlichen und entwicklungspolitischen Arbeit und aus der kirchlichen Jugendarbeit. Ich habe mich immer eingebracht und das möchte ich vielen Menschen ermöglichen. Ich möchte Menschen Experimentier- und tatsächliche Felder geben, sich hier einzubringen. Das kann ein Kindergarten sein. Wir fordern Kindergärten und Schulen auf, mit uns zusammen Projekte zu machen, aber auch Seniorinnen und Senioren.
Die Generationen und Angebote, die es gibt, so zu verweben, dass eine Bürgergesellschaft entsteht, die auch in schwierigen Zeiten resilient sein wird – das ist eine Mission von mir.
Sie haben schon viele Jahre Erfahrung im Berufsleben. Was aus dieser Erfahrung ist in Ihrer jetzigen Arbeit als Oberbürgermeisterin besonders wertvoll?
Ich habe bei meiner Wiederwahl 2017 einen Slogan gehabt: “Nah an den Menschen.” Das ist das erste: man muss Menschen mögen. Man muss Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit wahrnehmen können. Beim Bürgerempfang habe ich ein Fernrohr mitgebracht und habe gesagt:
„Einzelne in der Masse, in der Nähe und der Weite wahrzunehmen, das muss man mögen. Das muss man wollen und das macht den Mehrwert aus, weil dann auch etwas zurückkommt. Weil die Menschen merken, ob man es echt meint. Und ich glaube, das ist eine Stärke von uns Frauen.”
Aber das kostet auch Zeit und Kraft. Ich habe dieses Oberbürgermeisterinnenamt von Anfang an mit sehr viel Herzblut und sehr hohem Zeiteinsatz ausgefüllt. Ich sehe es als partielle Lebensaufgabe. Es sagen alle, dass es nicht “Nine to five” ist. Aber es geht nicht nur um die Zeit, sondern es geht auch um die Emotion und die Kraft. Wenn man das für die Menschen aufwendet, kommt es auch zurück.
Ich bin jemand, die es dann schon auch feststellt, wenn es einmal nicht ganz so tolle Rückmeldungen gibt. Wir brauchen eine große Sensibilität für die Menschen, für die wir etwas tun. Man ist so schnell in Gefahr, blinde Flecken zu haben in der Stadt oder auch bei den Zielgruppen. Wir haben nicht immer alle Zielgruppen im Blick. Es ist wichtig, immer wieder zu reflektieren: “Habe ich alle im Blick?” Das heißt nicht, dass ich nur das mache, was die Zielgruppen brauchen. Ich muss einfach wissen: Wenn ich Prioritäten setze, zum Beispiel, wenn ich jetzt hier in der Innenstadt Prioritäten setze, dann kann ich das Geld nicht woanders ausgeben.
Man hat eine ganz hohe Verantwortung. Ich habe auch die Verantwortung für die Themen, die ich nicht setze. Ich weiß bei jeder Gemeinderatssitzung, dass alles, was ich nicht als Themen setze, dann auch nicht beschlossen wird. Man braucht eine große Reflexionsfähigkeit bezüglich der blinden Flecken in der Verwaltung und von all dem, was eben auch noch zu tun wäre. Verantwortung übernehmen, für das, was auf dem Tisch liegt, das ist die eigentliche Kunst.
Sie hatten schon angesprochen, dass diese Aufgaben, diese Verantwortung viel Kraft benötigt. Wie laden Sie Ihre Batterien wieder auf?
Viele ambitionierte Kolleginnen und Kollegen sagen nach einer Weile: “Man muss sich eine eigene Art von Kraftquellen schaffen, um das immer wieder auch zu reflektieren.“ Da bin ich wieder bei den Menschen: Es braucht den Austausch mit Kollegen und Kolleginnen. Das ist mir persönlich sehr wichtig. Wir Bürgermeister und Bürgermeisterinnen sind eigentlich alle sehr solidarisch, weil wir vor Ort alle Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfer sind. Deswegen sind diese Netzwerke unter uns sehr wichtig. Jetzt mit mehr Frauen in Spitzenpositionen, haben wir auch Frauennetzwerke. Das ist besonders schön, weil da noch eine neue emotionale Komponente dazu kommt.
Und dann braucht man noch ein persönliches Umfeld, das einen versteht. Da wird es dann schon nicht ganz einfach, weil Sie nicht mehr in der Lage sind, bei der Komplexität der Aufgaben, das allen mitzuteilen. Das können Sie nicht mehr. Mein Mann hat sich damals oft beschwert, dass ich gar nicht mehr so viel erzähle und er aus der Zeitung erfährt, was ich mache. Sie wollen dann irgendwann auch mal Ihre Ruhe haben. Das geht allen so, die stressige Aufgaben haben.
Ich bin eine extrem gesellige Person. Ich brauchte dann aber auch ab und zu mal den Rückzug: Urlaube, Auszeiten, Wochenende. Sie müssen die Stadt verlassen, sonst haben Sie keine Auszeit. In dem Moment, wenn ich auf die Straße trete und den Mülleimer leere, bin ich eine öffentliche Person. Dieser Situation muss man sich bewusst sein. Es gibt kein Schild, das man umhängen kann: “Ich bin heute privat”. Wenn man das verstanden hat, dann macht es Spaß – und wenn man sich freut, wenn Menschen einen ansprechen.
Welche Rolle spielt für Sie der Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern?
Ich möchte Norbert, meinen verstorbenen Mann, sinngemäß zitieren. Der hat einmal zu mir gesagt, da hat Frau Merkel noch regiert: “Frau Merkel kann man nicht mehr anfassen.” Ich bin als Kommunale Ebene die letzte Instanz, die man tatsächlich – im übertragenen Sinne – anfassen kann. Wenn wir nicht mehr funktionieren, wenn wir hier keine offenen Rathaustüren haben, dann geht es nicht. Die Bürgerinnen und Bürger müssen wissen, dass ein Rathaus, egal ob es jetzt kleine Anliegen sind oder große, eine Institution ist, wo sie eine Möglichkeit haben, ihre Sorgen und Nöte zumindest einmal vorzubringen. Deswegen habe ich auch die ganzen 15 Jahre kontinuierlich Bürgersprechstunden gemacht. Die Themen haben sich sehr geändert. Es kommen heute weniger Menschen, aber diese Botschaft: “Ich könnte, wenn ich wollte, bei der Oberbürgermeisterin zumindest mal einen Termin bekommen,” – die ist mir wichtig.
Mit der Kandidatur zur Bürgermeisterin haben Sie sich entschieden, aus der 2. Reihe in die 1. Reihe zu treten. Wie war der Weg zu dieser Entscheidung?
Ich habe zwei wesentliche Sprünge gemacht, oder vielleicht sogar drei: einmal die Bürgermeisterkandidatur in Hügelsheim, die ich gar nicht ernst genommen habe. Die ist entstanden, weil ein Jurist mir gesagt hat, ich könnte dort gut kandidieren. Das war damals sehr hart und wirklich aus dem Nichts heraus. Ich habe ja auch verloren. Aber es hat etwas in mir geweckt.
Die erste Botschaft ist: Es ist ein Wahlamt. Es gibt keine Garantie. Ich mache allen Mut: Man darf auch antreten und dann verlieren. Das gehört zur Demokratie. Das wird viel zu wenig gesagt. Auch mal wagen. Nicht immer kann man gleich gewinnen. Das ist aber auch nicht schlimm.
Der zweite Sprung war dann, als ich Amtsleiterin, Beigeordnete in Ettlingen wurde. Bei der Wahl zur Beigeordneten, da braucht es die Stimmen der Gemeinderätinnen und Gemeinderäte. Das kann ich politisch austaxieren in Bezug auf die Wahl. Für die persönliche Lebensumstellung war schon klar: Es ist dennoch ein Wahlamt und ich verlasse die Komfortzone eines unbefristeten Beamten-Daseins.
Meine Komfortzone verlassen, das habe ich dann nochmals gemacht, als ich mich entschieden habe, für das Oberbürgermeisteramt in Bruchsal zu kandidieren. Eine Bürgermeisterwahl, das ist eine ganz andere Nummer und bei allem, wie toll dieses Amt ist: Eine Wahl ist eine ganz große Herausforderung. Eine Wahl braucht Mut und braucht ganz viel Kraft. Es braucht aber auch Geld. Das möchte ich deutlich sagen, das wird oft vergessen. Sie müssen Geld in die Hand nehmen. Man sagt ein bis 1,50 Euro pro Einwohnerin und Einwohner und ehrlicherweise ist da auch was dran. Das bitte einplanen.
Sie sind jetzt in Ihrer zweiten Amtszeit als Oberbürgermeisterin. Was ändert sich?
Wenn man wiedergewählt wird, dann fällt eine große Last von einem. Die Wiederwahl ist nicht nur finanziell notwendig. Ich wäre gar nicht abgesichert gewesen. Sondern vor allem auch wichtig für die Bestätigung. Beim ersten Mal wird man vielleicht gewählt, weil man einen guten Wahlkampf macht. Beim zweiten Mal wird man gewählt, weil die Person und die Richtung stimmen. Das ist die eigentliche Bestätigung.
Ich bin sehr, sehr gut wiedergewählt worden und das macht erstmal frei. Es gibt aber auch die Verantwortung, jetzt im größeren Sinne zu denken.
Die Agenda ändert sich. Die ersten zwei, drei Jahre, wenn man ins Amt kommt, muss man in seiner Kommune bleiben. Theoretisch könnte man in der zweiten Amtsperiode gelassener werden. Man ist beliebt bei den Menschen und muss nicht ums Überleben kämpfen. Manches wird Routine. Es ist jedoch so, dass in den vergangenen Jahren durch Corona, durch die Finanzkrise und durch die Energiekrise viele Herausforderungen von außen gekommen sind. Einfacher ist es nicht geworden.
Die Frage bleibt daher auch in einer zweiten Amtszeit, was man mit seinen 16 oder 14 Stunden am Tag macht. Das ist die eigentliche Kunst. Aus meiner Sicht muss man sich in der Landes- und Bundespolitik ganz anders einbringen. Über die Jahre wird man Teil vieler Netzwerke. Ich bin bei der Sparkasse in vielen Netzwerken. Ich bin im Deutschen Städtetag im Hauptausschuss und gut vernetzt. Ich bin im Vorstand des Städtetags Baden-Württemberg. Da kann man auch die Themen ein bisschen vernetzen. Es macht Spaß, diese Netzwerke auch selbst zu gestalten.
Es ist gut für Bruchsal, aber es ist auch umgekehrt gut, dass versierte Kolleginnen wie ich jetzt auf anderen Ebenen spiegeln, wie die Menschen ticken. Mit 15 Jahren Erfahrung habe ich einen großen Erfahrungsschatz und den gebe ich gerne in irgendeiner Art und Weise weiter.
Sie haben schon einige Tipps erwähnt. Haben Sie noch einen speziellen Tipp, den Sie weitergeben möchten an potenziell Interessierte am Bürgermeisteramt?
Mein Haupt-Tipp ist, dass nicht jeder Tag toll sein muss. Ich war Pfadfinderin und mein Lebensmotto ist: “Verlass die Welt ein bisschen besser, als du sie vorgefunden hast”. Diese Leidenschaft, zu gestalten, es ein bisschen besser zu machen – ob das dann gelingt oder nicht – das ist für mich immer wieder handlungsleitend. Wenn man für sich selbst eine stimmige Agenda hat und man sich nicht nur getrieben fühlt, dann kommen gute Lösungen. Die kann man dann auch durchtragen.
Ich selbst hatte zum Beispiel Angst, ich kann nicht genug Entscheidungen treffen. Das ist überhaupt nicht das Problem. Das Problem ist, wirklich gute Entscheidungen voranzubringen. Es geht nicht darum, Themen abzuhaken, sondern es geht darum, in einer guten Qualität und einer Nachhaltigkeit für die Menschen und mit den Menschen Entscheidungen zu treffen. Da muss nicht jede einzelne stimmig sein und eine einmal gefundene Idee darf man auch nachsteuern.
Entscheidungen können im Einzelfall natürlich einmal weh tun. Wesentlich ist, dass man immer wieder den Eindruck hat, man hat für die Menschen, die Verwaltung und die Politik gemeinsam eine Lösung gefunden bei einer wichtigen Entscheidung. Eine Entscheidung, die man die nächsten Jahre gemeinsam gut tragen und kommunizieren kann. Wenn man das als roten Faden hat, dann hat man Spaß.
Das Gespräch mit Oberbürgermeisterin Petzold-Schick führte Sybille Fleischmann. Das Interview wurde zur einfacheren Lesbarkeit gekürzt und bearbeitet und im Juli 2024 erstmals veröffentlicht.