Spotlight: Frau Siemes-Knoblich, im März 2023 urteilte das Verwaltungsgericht Freiburg, dass Ihre Gehaltseinstufung als Bürgermeisterin nicht rechtmäßig war: Ihnen stehe die gleiche Entlohnung wie Ihrem männlichen Amtsvorgänger und Ihrem männlichen Nachfolger zu. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, müsste man meinen. Was ist bei Ihnen passiert, damit Sie überhaupt vor ein Gericht ziehen mussten?
Bürgermeisterin a.D. Siemes-Knoblich: Baden-Württemberg ist das einzige Bundesland, in dem der Gemeinderat in der ersten Amtszeit einer Bürgermeisterin, eines Bürgermeisters über die Einstufung in eine höhere oder niedrigere Besoldungsgruppe entscheiden kann. In meinem Fall entschied sich der Gemeinderat für die niedrigere. Meinem Amtsvorgänger, wie auch meinem Amtsnachfolger wurde dagegen die höhere Einstufung zugestanden. Die Antidiskriminierungsstelle in Berlin riet mir, dagegen auf Basis des Antidiskriminierungsgesetzes vorzugehen und ich nahm mir einen entsprechenden Fachanwalt. Nachdem die Stadt unseren Wunsch nach außergerichtlicher Einigung mit einem nicht adäquaten Angebot von lediglich 20 % der entgangenen Besoldung beantwortete, entschloss ich mich zur Klage vor dem Verwaltungsgericht. Dort bekam ich in erster Instanz in allen Punkten der Klage Recht. Die Stadt musste mir gut 50.000 Euro entgangene Besoldung zuzüglich noch einmal mehr als 10.000 Euro Zinsen, Gerichts- und Anwaltsgebühren zahlen. Darüber hinaus wurde die mir eigentlich von Anfang an zustehende höhere Besoldungsgruppe als neue Basis für meine zukünftige Pension gesetzt, was sich – gerechnet auf meine voraussichtliche Lebenserwartung – auch noch mal auf rund 20.000 Euro summiert.
Spotlight: Sie bekommen über 50.000 Euro Schadenersatz, weil Sie vermutlich bei der Bezahlung diskriminiert wurden. Jedenfalls konnte die Stadt Müllheim nicht das Gegenteil beweisen. Wie fühlt sich das nun an?
Bürgermeisterin a.D. Siemes-Knoblich: Es fühlt sich richtig an! Und ich bin froh, dass das Gericht so klar und eindeutig sein Urteil gefällt hat. Damit hat es klar gemacht, dass die Besoldung unstrittigen, objektiven Kriterien zu folgen und diskriminierungsfrei zu sein hat. Das Urteil hat mich einmal mehr in meiner Auffassung bestätigt, dass der Gemeinderat bei der Besoldung eines Bürgermeisters, einer Bürgermeisterin schlichtweg nichts mit zu entscheiden haben dürfte. Das sollte auch in Baden-Württemberg, wie in allen anderen Bundesländern, einzig über das Beamtenbesoldungsgesetz geregelt werden. Dann laufen wir auch nicht länger Gefahr, dass bei solchen Entscheidungen irgendwie gelagerte Vorurteile und Stereotypen mitschwingen.
Spotlight: Frau Siemes-Knoblich, 2012 sind Sie als Bürgermeisterin in Müllheim angetreten. Als frischgebackene Bürgermeisterin hat man sicher einiges im Kopf. Hätten Sie damals gedacht, dass es gerade Ihr Gehalt ist, für das Sie einmal bekannt werden?
Bürgermeisterin a.D. Siemes-Knoblich: Nein, natürlich nicht! Ich wollte für die Dinge bekannt werden, die ich damals auf meiner Agenda hatte. Andererseits bewerte ich diese Bekanntheit aber dennoch als absolut positiv, denn das Urteil hat durch meine exponierte Position natürlich viel Aufmerksamkeit bekommen. Es war wie ein Tabubruch und hat dazu geführt, dass zahlreiche Kolleginnen in ganz Deutschland den Mut gefasst haben, ebenfalls gegen ihre ungerechtfertigte Besoldung vorzugehen. Und ich glaube auch, dass meine Klage dem Thema Equal Pay Gap in der öffentlichen Verwaltung insgesamt mehr Aufmerksamkeit verschafft hat, was dringend nötig ist.
Spotlight: Als Sie sich zur Wehr gesetzt haben gegen die Ungleichbehandlung – haben Sie da Unterstützung erfahren?
Bürgermeisterin a.D. Siemes-Knoblich: Ja, ich habe große Unterstützung erfahren. Und das hat mich sehr positiv überrascht: Ich habe Mails und Briefe von vielen Bürgerinnen und Bürgern bekommen, besonders aus Müllheim. Ich habe viele positive Kommentare in den sozialen Medien bekommen. Die Uni Freiburg hat das Thema zu einem Semesterprojekt für eine Reihe von Studierenden gemacht. Und letztlich haben mich auch viele Kolleginnen und Kollegen sehr deutlich unterstützt. Das hat natürlich sehr gut getan.
Spotlight: Was möchten Sie zukünftigen Bürgermeisterinnen mitgeben?
Bürgermeisterin a.D. Siemes-Knoblich: Zukünftigen Bürgermeisterinnen möchte ich mit auf den Weg geben, dass sie grundsätzlich keine Konflikte scheuen sollten, besonders dann nicht, wenn es um die eigenen Interessen geht. Und damit meine ich nicht nur die Besoldung. Bürgermeisterinnen sind im Amt noch vielen Anfechtungen ausgesetzt, die auf einen Gender Bias, sprich Geschlechterstereotypen, zurückzuführen sind. Das betrifft das Führungsverhalten, das äußere Erscheinungsbild und vieles mehr. Sich dessen bewusst zu sein und diesen Anfechtungen von Anfang an mit einer klaren Haltung zu begegnen, ist ein entscheidendes Moment für den Erfolg und ganz besonders für die persönliche Zufriedenheit im Amt.
Das Interview mit Bürgermeisterin a.D. Siemes-Knoblich führte Barbara Ogbone im Februar 2024.