Spotlight: Frau Heute-Bluhm, Sie können auf eine erfolgreiche kommunalpolitische Karriere zurückblicken. Von 1995 bis 2014 waren Sie Oberbürgermeisterin der Kreisstadt Lörrach und wurden dabei zwei Mal erfolgreich wiedergewählt. Was macht für Sie den Reiz des Amtes als (Ober-)Bürgermeisterin aus?
Gemeinsam mit den Menschen, die es angeht, die Stadt von morgen zu gestalten, die zentralen Themen aufzugreifen und so plausibel zu erklären, dass sie mehrheitsfähig sind – das hat mich von Anfang an gereizt. Schon im Landratsamt hatte ich gelernt, dass man vermeintlich strittige Themen parteiübergreifend klären kann. Wichtig ist, zuzuhören und den Menschen das Gefühl zu vermitteln, dass sie ernsthaft einbezogen werden, wenn sie sich engagieren. Dies gilt gleichermaßen für die Arbeit im und mit dem Gemeinderat. Gute Ideen – gleich von welcher Fraktion – verdienen es, abgewogen und wenn möglich umgesetzt zu werden. Das schafft Vertrauen in die eigene Kompetenz, und Vertrauen ist einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren.
Spotlight: Von 2014 bis zu Ihrem Ruhestand 2022 waren Sie Hauptgeschäftsführerin (offiziell: geschäftsführendes Vorstandsmitglied) des Städtetags Baden-Württemberg. Wie kann ein kommunaler Verband die Zusammenarbeit von Kommunen im politischen Vierklang von Europapolitik, Bundespolitik, Landespolitik und Kommunalpolitik bewegen? Wo sehen Sie die besonderen Chancen von Kommunalpolitik?
Die Kommunalen Landesverbände wie Städtetag, Gemeindetag und Landkreistag können das kommunale Denken, die Suche nach parteiübergreifenden Lösungen und die Fähigkeit zum Kompromiss in die politische Ebene des Landes tragen. Dabei kommt ihnen zugute, dass sie in den meisten Fällen auf die Expertise ihrer Mitglieder zurückgreifen, die oft näher an der kommunalen Realität ist als die Vorstellungen der Ministerien. Wir scheuen auch die Sorgfalt im Detail nicht und erliegen seltener der Verlockung der großen Worte. Und generell habe ich die Erfahrung gemacht, dass Kommunalpolitik kleinteiliger, sachorientierter und langfristiger denkt als die „große Politik“. Interessant ist auch, dass die Parlamentarier und auch die Regierung auf Landesebene großen Respekt vor der kommunalen Wirkmacht haben. Auf Landesebene verhandeln wir meist auf Augenhöhe, während das auf Bundesebene deutlich schwieriger zu sein scheint.
Spotlight: Sie engagieren sich langjährig öffentlich für den Kommunalen Klimaschutz, ganz besonders innerhalb Ihrer Partei, der CDU. Noch immer ist Klimaschutz aber ein strittiges politisches Thema, das gerne populistisch vereinnahmt wird. Wo sehen Sie Fortschritte?
Das Thema ist überall präsent und eigentlich weiß jeder und jede, dass sie ihren Beitrag leisten müssen, um unsere Welt für nachfolgende Generationen zu sichern. Widerstand entsteht eher aus dem Gefühl der Überforderung und Ungerechtigkeit. Man möchte, dass der Staat für den richtigen Weg sorgt.
Für mich stelle ich fest, dass es inzwischen nahezu unendlich viele Lösungsansätze gibt und vor allem die Wirtschaft die Notwendigkeit sieht, sich sehr ernsthaft auf den Weg zu machen. Insbesondere unsere Unternehmen sind um Lösungen bemüht und wollen nicht einfach flüchten an Standorte mit geringeren Anforderungen. Sie brauchen aber stabile Rahmenbedingungen.
Schließlich hat mich mein gutes Ergebnis bei der Kreistagswahl vor allem deshalb gefreut, weil ich ausschließlich mit Klimathemen in den sozialen Medien und einer Veranstaltung geworben habe.
Spotlight: Als (Ober-)Bürgermeister*in kommt man heute am Thema Klimaschutz nicht mehr vorbei. Es ist eines der aktuell und zukünftig wichtigen Themen des Verwaltungshandelns, das in alle Bereiche einer Kommunalverwaltung ausstrahlt. Was raten Sie Kandidat*innen? Wie kann man sich auf dieses kommunalpolitisch wichtige Thema vorbereiten?
Wichtig ist das Gespräch, um zunächst herauszufinden, wie die Bedürfnisse und die Chancen vor Ort sind. Daraus sollte die Kandidatin oder der Kandidat ein bis zwei weiterführende Vorschläge entwickeln, die die Stadt oder Gemeinde selbst umsetzen kann. Es ist nicht Aufgabe der lokalen Führung, vorrangig die Bürgerinnen und Bürger in die Pflicht zu nehmen, ihren Lebensstil zu ändern. Auch im kommunalen Klimaschutz sehe ich mich als Dienstleisterin für klimaneutrale Lösungen. So wie Abfallwirtschaft und Abwasserbeseitigung müssen diese Lösungen nicht zum Nulltarif angeboten werden, dürfen aber die Menschen nicht überfordern.
Spotlight: Was sind für Sie einige der interessantesten und visionärsten Ansätze zum Thema Klimaschutz in der Kommune?
Es mag langweilig klingen: das Gute am kommunalen Klimaschutz sehe ich in der Vielfalt der bereits erprobten Ansätze, mit denen auch in anderen Kommunen gute Ergebnisse erzielt werden können.
Für ein wichtiges Instrument halte ich die kommunale Wärmeplanung. Sie ist weniger visionär als zukunftsorientiert und berücksichtigt die Situation vor Ort und die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger. Der Landkreis Lörrach konnte zeigen, dass die Planung gemeindeübergreifende Lösungen für Wärme und Photovoltaik (PV) und kooperative Ansätze zur Nutzung von Tiefengeothermie und industrieller Abwärme großer Betriebe liefert. Das Beispiel unseres Landkreises liefert Daten für lokale Energiegemeinschaften in Quartieren und ganzen Dörfern. Die Botschaft ist, um es mit einem visionären amerikanischen Präsidenten zu formulieren: Yes we can!
Spotlight: Häufig lässt die Aussicht auf ein Scheitern Interessierte zögern, die Kandidatur zu wagen. Frau Heute-Bluhm, Sie können auf beachtliche Erfolge zurückblicken, aber mussten auch mit einer Niederlage umgehen. 2002 konnten Sie sich bei der Kandidatur zur Oberbürgermeisterin in Freiburg im Breisgau nicht durchsetzen. Das Wahlkampfthema Klimaschutz spielte dabei auch eine Rolle. Was haben Sie aus dieser Erfahrung gelernt, wovon andere Frauen profitieren können?
Persönlich hat mir die Notwendigkeit geholfen, in Lörrach gleich wieder durchstarten zu müssen, um die dort im darauffolgenden Jahr anstehende Wahl zu gewinnen. Das gelang im ersten Wahlgang.
Natürlich habe ich die Gründe für die Niederlage verstehen wollen. Anfangs wurde ich in Freiburg als Favoritin gehandelt. Das hatte mich beflügelt. Später hatte ich den Eindruck, die Medien sähen lieber einen grünen OB als die erste Frau in dieser Position. Damit konnte ich nicht gut umgehen und habe zunächst versucht zu beweisen, dass ich die bessere Umweltpolitikerin sei. Das war in doppelter Hinsicht ein Fehler. Im eigenen Lager habe ich Zweifel gesät, z.B. durch die Zustimmung zu den Windrädern und neue Wähler konnte ich nicht gewinnen, weil ich meine Leichtigkeit und Souveränität verloren hatte. Heute noch mehr als früher will die Mehrzahl der Wählerinnen und Wähler eine sympathische Führungsfrau, nicht eine detailorientierte Expertin. Gleichwohl war für mich persönlich immer wichtig, die Sache zu durchdringen, um mit meiner eigenen Glaubwürdigkeit andere überzeugen zu können. Faktenwissen sollte aber nicht demonstriert werden, sondern uns selbst Sicherheit vermitteln.
Ein weiterer Fehler kostete mich im zweiten Wahlgang Stimmen aus dem kulturell-intellektuellen Milieu, die ich im ersten Wahlgang gewonnen hatte: Ich hatte meine grünliberale Linie im zweiten Wahlgang selbst in Frage gestellt, um die konservative Wählerschaft zu beeindrucken. Sich selbst treu zu bleiben, ist eine wichtige Voraussetzung, um eine Wahl zu gewinnen und im Amt zu bestehen.
Das Interview mit Gudrun Heute-Bluhm führte Barbara Ogbone im Juni 2024.